Gregor Laudage, Armin Haas, Andrei Guter-Sandu, and Steffen Murau
The state as a fiscal actor is commonly perceived to be a unitary entity that interacts with the wider financial system via its core budget operated by the treasury which generates inflows via taxes and outflows through government spending. However, an emerging literature places increasing emphasis on off-balance-sheet fiscal agencies (OBFAs)—financial entities that are separate from the treasury but carry out, on behalf of the state, activities that could also be run via the core budget, and often receive explicit or implicit fiscal backstops. This gives rise to a ‘fiscal ecosystem’ of national and sub-national treasuries and OBFAs that is different in each country, historically specific, and inherently opaque. Fiscal ecosystems are subject to constant transformation that is driven by political, economic, and legal concerns, with ample path dependencies. In this article, we use Germany as a case study to develop a methodology that combines scholarship in law and political economy to categorise and empirically map its contemporary fiscal ecosystem. Throughout its turbulent history, Germany has developed a highly complex web of OBFAs across various layers of its federal system. Their number ranges in the tens of thousands, possibly close to a hundred thousand. We place them in a coordinate system and depict their proximity or distance to the core budget by drawing on their legal status, revenue model, and characteristics of their issued debt (if there is any). Moreover, we carve out the conditions under which OBFAs are subject to Germany’s constitutional debt brake and the EU fiscal rules. If and how OBFAs are affected by debt brakes has been notoriously opaque but is a matter of great political salience since in November 2023 Germany’s constitutional court objected to the financial treatment of special funds (Sondervermögen), which created a budgetary crisis and a spending freeze.
The OBFA-TRANSFORM Working Paper Series publishes ongoing research output by the group that applies the Monetary Architecture framework and the OBFA concept on various contemporary and historical subjects.
(Deutsche Version)
Staatsfinanzen jenseits des Kernhaushalts. Bilanzexterne Fiskalagenturen im deutschen fiskalischen Ökosystem
Der Begriff der staatlichen Fiskalpolitik bezieht sich gemeinhin auf Einnahmen und Ausgaben, die über den staatlichen Kernhaushalt laufen. Dieser wird typischerweise vom Finanzministerium eines Staates verwaltet. In der wissenschaftlichen Literatur wird demgegenüber zunehmend die Bedeutung von ‚bilanzexternen Fiskalagenturen‘ (off-balance-sheet fiscal agencies, OBFAs) betont. Dies sind Institutionen, die im Namen des Staates finanzielle Aktivitäten durchführen, die zwar grundsätzlich über den Kernhaushalt laufen könnten, aber in der Praxis vom Kernhaushalt getrennt sind. Häufig erhalten bilanzexterne Fiskalagenturen dafür explizite oder implizite Absicherungen oder Garantien durch den Kernhaushalt. Daraus ergibt sich ein komplexes ‚fiskalisches Ökosystem‘ aus Kernhaushalten und bilanzexternen Fiskalagenturen, das aus historischen Gründen in jedem Land anders aussieht und häufig so unübersichtlich ist, dass es sich einer genauen Analyse entzieht. Fiskalische Ökosysteme unterliegt einem ständigen Wandlungsprozess, der durch politische, wirtschaftliche und rechtliche Erwägungen bestimmt wird und zahlreiche Pfadabhängigkeiten aufweist. In diesem Aufsatz verwenden wir Deutschland als Fallstudie, um eine interdisziplinäre Methodik zu entwickeln, die Rechtswissenschaft und politische Ökonomie kombiniert und es so erlaubt, das gegenwärtige fiskalische Ökosystem konzeptionell zu erfassen und empirisch abzubilden. Im Laufe seiner turbulenten Geschichte hat Deutschland auf den verschiedenen Ebenen seines föderalen Systems ein komplexes Netz an bilanzexternen Fiskalagenturen ausgeprägt. Nach unseren Schätzungen beläuft sich deren Anzahl auf mehrere Zehntausend, möglicherweise liegt sie sogar in der Nähe von Hunderttausend. Wir ordnen sie in ein Koordinatensystem ein, das es erlaubt, ihre Nähe oder Distanz zum staatlichen Kernhaushalt darzustellen. Dabei berücksichtigen wir die rechtliche Stellung, das Einnahmemodell sowie die Verschuldungsmöglichkeiten der jeweiligen Institution. Darüber hinaus zeigen wir auf, inwiefern bilanzexterne Fiskalagenturen der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse und den fiskalischen Regeln der EU unterworfen sind. Die Frage nach dem Zusammenhang von bilanzexternen Fiskalagenturen und der Schuldenbremse ist von großer politischer Bedeutung. So beanstandete etwa das Bundesverfassungsgericht im November 2023 die Nutzung eines bestimmten Sondervermögens, was zu einer Haushaltskrise und einem staatlichen Ausgabenstopp führte.